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Das Foto zeigt ein dreigeschossiges Gebäude mit Dachgeschoss und einem Vorbau mit überdachten Balkonen. Quelle:Plan und Praxis Berlin

Typ: Praxisbeispiel , Datum: Lebendige Zentren , Datum: 21.02.2022

Nachnutzung denkmalgeschützter Gebäude in Wangen im Allgäu

Die lange Geschichte von Wangen im Allgäu als Reichsstadt ist bis heute anhand der erhaltenen Stadtstruktur mit ihren prachtvollen Bauten in der historischen Altstadt ablesbar. Im Zuge der Industrialisierung und der Errichtung einer Baumwollspinnerei Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte die Erweiterung der Stadt weit über den historischen Altstadtkern hinaus. Bereits seit den 1970er-Jahren wurden zahlreiche Anstrengungen unternommen, um die Altstadt als Gesamtanlage (gem. § 19 DSchG) zu erhalten und die Nutzung bzw. Nachnutzung des historischen Gebäudebestands zu sichern. Heute spielen dabei der Erhalt der Altstadt als Standort für Handel und Gewerbe und die altersgerechte Sanierung der historischen Bausubstanz eine zentrale Rolle, um die Attraktivität des Standorts Innenstadt zu bewahren.
Beispiele für die Umsetzung der genannten Ziele vor Ort sind die Sanierung und Nachnutzung des innerstädtischen historischen Heilig-Geist-Spitals sowie die Revitalisierung des Geländes der ehemaligen Baumwollspinnerei – des sogenannten ERBA-Fabrikgeländes. Durch die Schaffung einer neuen Grünverbindung im Rahmen der Landesgartenschau 2024 soll das ERBA-Gelände besser an die historische Altstadt angebunden werden.

Eckdaten

Land

Baden-Württemberg

Bevölkerung (Gemeinde)

27.000

Gebietsgröße

14,3 Hektar

Bundesfinanzhilfen

550.000 Euro (bis 2020)
rund 1,3 Millionen Euro (2014-2018 in Städtebaulicher Denkmalschutz)

Gebietstypus

Mischgebiet, Ortskern, denkmalgeschütze Bebauung (gemäß § 19 Denkmalschutzgesetz)

Schwerpunktthemen

  • Denkmalschutz / Baukultur
  • Soziale Infrastruktur
  • Grüne Infrastruktur

Instrumente

  • Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept
  • Mittelbündelung
  • Bürgerbeteiligung

Kontext

Die Stadt Wangen im Allgäu liegt im Südosten Baden-Württembergs, rund 20 Kilometer entfernt vom Bodensee, im Landkreis Ravensburg. Von der langen Geschichte Wangens zeugen die vielen gut erhaltenen historischen Gebäude in der Altstadt. Sie ist durch das Nebeneinander repräsentativer Bauten am Markt und Postplatz, aufwendig gestaltete Bürger- und Patrizierhäuser an den zentralen Achsen der Oberstadt sowie eine kleinteilige Bebauung in Nebenstraßen und der Unterstadt geprägt. Die überwiegend verputzten Bauten gliedern sich trauf- und giebelständig entlang der Straßen und Gassen. Stadtbildbestimmend sind die Türme der Pfarrkirche und der Stadtbefestigung. Der Stadtgrundriss der historischen Altstadt in Form eines sechseckigen Polygons grenzt sich durch die im 20. Jahrhundert angelegte Ringstraße und den Fluss Argen von den späteren Stadterweiterungen ab. Die historische Stadtgestalt ist trotz verschiedener Brände zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert heute noch gut zu erkennen und damit eine Besonderheit kleiner Reichsstädte im Südwesten Deutschlands.

Südlich der historischen Altstadt befindet sich zudem das Areal einer ehemaligen Baumwollspinnerei. Die Gebäude wurden im Zuge der Industrialisierung im Jahr 1860 errichtet und bis 1992 genutzt. Nach Aufgabe der Produktion standen die Gebäude leer und verfielen zusehends.

Beschreibung der Gesamtmaßnahme

Die Sanierung der historischen Altstadt von Wangen wird seit 1979 mit verschiedenen Fördermitteln von Stadt, Land und Bund unterstützt. Mit der Ausweisung des ersten Stadterneuerungsgebiets "Stadtkern I" und der späteren südliche Erweiterung "Stadtkern II" (Isnyer Vorstadt), konnte der Gebäudebestand in der gesamten Altstadt weitgehend gesichert und instandgesetzt werden. Zwischen 2014 und 2020 wurde das 14,3 Hektar große Fördergebiet "Stadtkern IV" im Programm Städtebaulicher Denkmalschutz gefördert und anschließend in das Programm "Lebendige Zentren" überführt. Es umfasst die historische Altstadt, die nach § 19 DSchG unter Schutz steht. Aktueller Handlungsbedarf besteht darin, Sanierungsarbeiten in kooperativer Zusammenarbeit mit den Immobilieneigentümern sowie der Bevölkerung fortzusetzen, um historische, teilweise leerstehende Gebäude, im Besonderen die großen Dachräume oder ehemalige Lagerflächen, auszubauen, zu erhalten und einer Wohnnutzung zuzuführen. Damit wird eine innerstädtische Nachverdichtung ermöglicht, die Altstadt in ihrer äußeren Erscheinung weiter aufgewertet und die Funktionsvielfalt gestärkt.

Ein weiterer zentraler Schwerpunkt der Stadtentwicklung Wangens ist die Revitalisierung des ehemals industriell genutzten baulichen Bestands südwestlich der historischen Altstadt. Ziel ist es, das Kulturdenkmal als Standort für Gewerbe, Kultur und Wohnen nachzunutzen und durch Maßnahmen der Freiraumgestaltung mit der historischen Altstadt zu verknüpfen. In diesem Kontext finden umfangreiche Beteiligungsmaßnahmen statt.

Meilensteine

  • 1979 -2003 Sanierung der Altstadt im Zuge des Sanierungsgebiets "Stadtkern I"
  • 2004 - 2013 Sanierung der Altstadt im Zuge des Sanierungsgebiets "Stadtkern II Isnyer Vorstadt Bereich Klösterle"
  • 2008 –2020 Sanierung der Konversionsfläche "Stadtumbaugebiet III Bel Adler" im nördlichen Anschluss an die Altstadt
  • 2010 Die Stadt Wangen im Allgäu erhält den Zuschlag zur Ausrichtung der Landesgartenschau 2024; Kauf des ERBA-Geländes
  • 2014 -2024 Sanierung der Altstadt im Zuge des Sanierungsgebiets "Stadtkern IV" im Programm Städtebaulicher Denkmalschutz
  • 2014 Durchführung eines städtebaulichen und landschaftsarchitektonischen Realisierungswettbewerb für das zukünftige Gelände der Landesgartenschau im Umfeld der einstigen "ERBA"
  • Seit 2018 Sanierung und Umbau des Heilig-Geist-Spitals zu einem Kindergarten und Sitz sozialer Einrichtungen
  • 2019 -2020 Umbau der alten Feuerwehr zu einem Bürogebäude
  • 2020 Sanierungsgebiet "Stadtkern IV" wird im Zuge der Neuordnung der Städtebauförderung dem Programm "Lebendige Zentren" zugeordnet

Besondere Aspekte der Quartiersentwicklung

Zentraler Schwerpunkt im Rahmen der Stadterneuerung von Wangen ist die Nachnutzung des historischen baulichen Bestands sowohl in der Altstadt als auch in den ehemals industriell genutzten Arealen.

Ein Beispiel für die vorbildliche Nachnutzung historischer Gebäude ist das Heilig-Geist-Spital, das als außergewöhnliches stadtbildprägendes Zeugnis in der historischen Altstadt als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung Schutz erfährt. Die drei Flügel des Gebäudes entstanden in verschiedenen Bauphasen jeweils im 15., im 17. und im 20. Jahrhundert. An den nördlichen Flügel schließt sich eine kleine Barockkirche an, die Anfang des 18. Jahrhunderts anstelle der mittelalterlichen Kapelle erbaut wurde. Von Beginn an hatte das Heilig-Geist-Spital eine caritative Funktion inne und wurde mehrere Jahrhunderte als Fürsorgeeinrichtung für Arme, Alte und Kranke, als Krankenhaus und zuletzt ab 1923 als Altersheim genutzt. Mit der Eröffnung einer modernen Wohnanlage für Senioren an einem neuen Standort im Jahr 2015 bot sich für die Stadt Wangen die Gelegenheit, das Heilig-Geist-Spital zu sanieren und nachzunutzen, um so die Altstadt als Standort für soziale, kulturelle und öffentliche Infrastruktur nachhaltig zu erhalten. Um die Nachnutzung des Heilig-Geist-Spitals vorzubereiten, wurde ein Architekturwettbewerb durchgeführt. Im Ergebnis entstand ein multifunktionales Gebäude mit Kita, Büroflächen, Sozialen Beratungen und Gästeamt.

Im Herz des Spitals wurde ein gestalteter Innenhof geschaffen, der mit Brunnen und Grünflächen einen weiteren Beitrag für öffentliche Veranstaltungen und Begegnungen ermöglicht.

Das Bild zeigt im Hintegrund das Gebäude des Kindergartens. Im Vordergrund steht ein Baum auf einer Rasenfläche, der mit Holzbrettern umkleidet ist. Das Bild zeigt im Hintegrund das Gebäude des Kindergartens. Im Vordergrund steht ein Baum auf einer Rasenfläche, der mit Holzbrettern umkleidet ist. (Vergrößerung öffnet sich im neuen Fenster) Quelle: Stadt Wangen i.A. Neu gestalteter Außenbereich des Kindergartens

Der Großteil des Erdgeschosses wurde zu einem Kindergarten umgebaut, der seit 2019 genutzt wird. Im Außenbereich des Kindergartens befindet sich einer der wenigen öffentlich sichtbaren Gärten der Altstadt und lockert diese in ihrem Erscheinungsbild auf. Zudem werden die Kinder meist zu Fuß oder mit dem Fahrrad in den Kindergarten gebracht, sodass kein zusätzlicher Autoverkehr durch Bring- oder Holdienste entsteht.

Unter Beachtung der Gestaltungssatzung der Stadt Wangen wurden die Außenanlagen qualifiziert und verschiedene Spielräume geschaffen. Im Umfeld der Außenanlage sind Radstellplätze und schattige Aufenthaltsbereiche mit Bäumen ausgebaut worden. Des Weiteren befindet sich im sanierten Erdgeschossbereich auch das Gästeamt der Stadt Wangen und der Verein der Nachbarschaftshilfe. Die oberen Geschosse wurden zu Büroräumen für verschiedene soziale Einrichtungen umgebaut. Diese werden von der Diakonie, die hier unter anderem Beratungen zu verschiedenen Themen anbieten. Alle Umbaumaßnahmen fanden in enger Abstimmung mit den Denkmalbehörden statt. Mit dem Anschluss des ehemaligen Spitals an das Nahwärmenetz wurde das historische Gebäude zudem nachhaltig energetisch ertüchtigt. Die heute im Heilig-Geist-Spital versammelten Nutzungen tragen maßgeblich zur Belebung der gesamten Altstadt bei.

Ein weiteres für die gesamtstädtische Entwicklung von Wangen herausragendes Projekt ist die Revitalisierung des Geländes der ehemaligen Baumwollspinnerei ERBA. Die Stadt Wangen kaufte im Jahr 2010 das Gelände und begann mit den Planungen zur Revitalisierung des Geländes. Die Gebäude wurden anschließend an eine Vielzahl lokaler privater Investoren und "Liebhaber historischer Gebäude" veräußert, durch die die Umsetzung neuer Nutzungskonzepte erfolgt. So entstehen in den Bestandsgebäuden des ERBA-Geländes unter anderem neue Wohnflächen, Gewerbeflächen sowie Räume für Kultur und Gastronomie. Unterstützt wird dieses Vorhaben mit Mitteln aus dem Bundesprogramm "Nationale Projekte des Städtebaus".

Gleichzeitig werden im Rahmen der Landesgartenschau Flächen entlang des Flusses Argen neugestaltet, um eine attraktive Grünverbindung zur Altstadt zu schaffen. Hierfür wurde im Jahr 2014 ein landschaftsplanerischer Wettbewerb durchgeführt. Dabei stellt das ehemalige Feuerwehrgebäude einen stadtbildprägenden zentralen Eingangspunkt zur Altstadt dar. Auf Empfehlung der "Expertengruppe Städtebaulicher Denkmalschutz" wurde das Gebäude mit Mitteln des Programms "Lebendige Zentren" saniert und als modernes Bürogebäude nachgenutzt. Hier befinden sich nun die Büroräume der städtischen Gesellschaft zur Vorbereitung der Landesgartenschau 2024.

Lernerfahrungen

Die Stadtentwicklung von Wangen im Allgäu ist ein eindrucksvolles Beispiel für den zukunftsorientierten Umgang mit den verschiedenen historischen baulichen Strukturen unterschiedlichen Alters. Dabei wird konsequent der Ansatz "Innen- vor Außenentwicklung" verfolgt. Die Wiedernutzung stadtbildprägender historischer Gebäude ist ebenso zentrales Kernelement, wie eine zentrumsorientierte Handelspolitik, um die Funktionsmischung im Innenstadtbereich insgesamt zu stärken. Auf diesem Wege konnte durch verschiedene Projekte, wie die Nachnutzung des Heilig-Geist-Spitals, die Altstadt belebt und vorausschauend erneuert werden.

Mit der Ausrichtung der Landesgartenschau 2024 wird der eingeschlagene Weg auch außerhalb der historischen Altstadt fortgesetzt. Die hier vorhandenen ehemaligen industriell genutzten Flächen werden revitalisiert und als Standort für Wohnen, Gewerbe und Kultur neu definiert. Durch umfangreiche Maßnahmen der Freiraumgestaltung werden darüber hinaus die historische Altstadt und die Flächen der ehemaligen Baumwollspinnerei eng miteinander verknüpft.