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Das Bild zeigt eine bunte Häuserreihe mit Altbauten. Quelle:B.B.S.M.

Typ: Praxisbeispiel , Datum: Wachstum und nachhaltige Erneuerung , Datum: 08.04.2018

Altbauaktivierung im innerstädtischen Gründerzeitgebiet Wittenberge – Jahnschulviertel

Die Stadt Wittenberge liegt im Nordwesten des Landes Brandenburg, direkt an der Elbe. Sie verfügt über ausgedehnte Gründerzeitgebiete, die Ausdruck der wirtschaftlichen Blüte um die vorletzte Jahrhundertwende sind. Nach 1990 hat die Stadt einen massiven wirtschaftlichen Strukturwandel erfahren. Folgen waren erhebliche Bevölkerungsverluste aber auch hohe Leerstände im Gebäudebestand. Im Jahr 2000 standen gesamtstädtisch 3.030 Wohnungen leer, das entsprach 23 % des Wohnungsbestands der Stadt.
Während im randstädtisch gelegenen Plattenbaugebiet mehr als 800 Wohnungen abgerissen wurden, lag der Fokus im Jahnschulviertel auf der Sicherung und Sanierung der Altbausubstanz. Der Aufwertungsprozess zeigt, dass die Altbauaktivierung einen langen Atem braucht. Nach 20 Jahren intensivem Kümmern und hohem Fördermitteleinsatz konnte der Leerstand im Jahnschulviertel von fast 50 % auf etwa 20 % reduziert werden.

Eckdaten

Land

Brandenburg

Bevölkerung (Gemeinde)

rund 17.000

Gebietsgröße

rund 27 Hektar

Bundesfinanzhilfen

circa 13,5 Mio. Euro (2002 - 2019)

Gebietstypus

Innerstädtisches Gründerzeitquartier

Schwerpunktthemen

  • Öffentlicher Raum
  • Altbauaktivierung
  • Einbindung von sozialen Trägern und kommunalen Wohnungsunternehmen
  • Qualifizierung der sozialen Infrastruktur

Instrumente

  • Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept

Kontext

Das Jahnschulviertel, gelegen zwischen Bahnhof, Rathaus und Altstadt, ist durch seine besondere Lagegunst und eine überaus attraktive Bausubstanz mit hoher stadthistorischer Bedeutung gekennzeichnet. Die Gebäude in dem Gründerzeitgebiet mit ca. 1.250 Wohnungen wurden in geschlossener, vorwiegend dreigeschossiger Bauweise errichtet und verfügen oft über eindrucksvolle Fassadengestaltungen mit Elementen des Jugendstils und des Historismus.
Angesichts der wertvollen Bausubstanz und den – im Vergleich zur historischen Altstadt und schlichteren Gründerzeitgebieten wie dem Packhofviertel – geringeren Schäden sowie „nur“ rd. 10 % Leerstand erhoffte sich die Stadt Anfang der 1990er Jahre eine weitgehend selbsttragende Sanierung und Entwicklung des Gebietes durch private Investoren. Ende der 1990er Jahre musste jedoch konstatiert werden, dass das Investitionspotenzial in der strukturschwachen Region nicht ausreicht, um eine Aufwertung des Gebietes ohne zusätzliche Impulse spürbar voran zu bringen. Vielmehr waren die Leerstandszahlen aufgrund unterlassener Instandhaltungen und unklarer Eigentumsverhältnisse auf fast 50 % angestiegen.

Beschreibung der Gesamtmaßnahme

Das Quartier wurde daher 1999 als Sanierungsgebiet festgelegt und seitdem sukzessive in die Städtebauförderprogramme „Soziale Stadt" (1999 bis 2007), „Sanierung- und Entwicklung" (2000 bis 2002) und „Stadtumbau“ (2002 bis 2019) aufgenommen. Im Jahr 2020 erfolgte die Aufnahme in das Programm „Wachstum und nachhaltige Erneuerung“.
Gesamtstädtisch war die Entscheidung, neben dem historischen Stadtkern auch das Jahnschulviertel aufzuwerten, anfangs nicht unumstritten: Es erschien vielen Akteuren zunächst naheliegender, die zunehmend leerstehenden und unsanierten Gründerzeitbestände abzureißen, als Rückbaumaßnahmen in den weitgehend sanierten und vermieteten Beständen des industriellen Wohnungsbaus aus DDR-Zeiten zu realisieren.
Das Stadtentwicklungskonzept von 2007 sowie die Stadtumbaustrategie von 2009 (als Fortschreibung des Stadtumbaukonzepts von 2002) und ein teilräumliches Entwicklungskonzept Innenstadt mit dem Fokus auf dem Jahnschulviertel aus dem Jahr 2011 bildeten die – sukzessive immer weiter vertieften – Entscheidungsgrundlagen um den Sanierungs- und Erneuerungsprozess im Jahnschulviertel zu forcieren.
Aufbauend auf dem Teilraumkonzept Innenstadt wurde 2011 eine Altbauaktivierungsstrategie erstellt, die inzwischen mehrfach fortgeschrieben wurde. Diese Strategie war die Voraussetzung dafür, dass die Stadt seit 2011 Stadtumbaumittel aus dem Programmbereich „Sanierung und Sicherung von Altbauten“ für die nachhaltige bauliche Sicherung und Sanierung von Altbauobjekten einsetzen konnte.

Meilensteine

  • 1999/2000: Ausweisung als Sanierungsgebiet, Aufnahme in Städtebauförderprogramme „Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen“ und „Soziale Stadt“
  • 2002: Aufnahme in das Städtebauförderprogramm „Stadtumbau Ost“
  • 2002: Beschluss des Stadtumbaukonzeptes
  • 2005: Erste Sicherung und Sanierung von Wohngebäuden durch die WGW
  • 2007: Beschluss des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (INSEK)
  • 2007: Abschluss der Sanierung der Jahnschule (einschließlich Turnhalle und Schulhof)
  • 2009: Fortschreibung des Stadtumbaukonzeptes als „Stadtumbaustrategie“
  • 2009: Abschluss der Umgestaltung des Goetheplatzes und des Schillerplatzes
  • 2009: Eröffnung des Bürgerzentrums
  • 2011: Beschluss des Teilraumkonzepts Innenstadt und der Altbauaktivierungsstrategie
  • 2012: Fertigstellung des generationengerechten Gebäudekomplexes der AWO
  • 2013: Fortschreibung der Altbauaktivierungsstrategie
  • 2015: Eröffnung des Mutter-Kind-Hauses und des SOS-Familienzentrums
  • 2015: Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen MIL, Stadt und WGW
  • 2017: Fortschreibung des Integrierten Stadtentwicklungskonzepts
  • 2018: Fortschreibung der Stadtumbau- und der Altbaumobilisierungsstrategie
  • 2021: Beginn der Sanierung des denkmalgeschützten Empfangsgebäudes am Bahnhof

Besondere Aspekte der Quartiersentwicklung

Um den Stadtumbauprozess weiter zu beschleunigen haben das Land Brandenburg, die Stadt Wittenberge und die kommunale Wohnbaugesellschaft (WGW) im Jahr 2015 eine Kooperationsvereinbarung geschlossen (Laufzeit bis 2019). Die WGW, die bereits zuvor ein wichtiger Akteur in der Altbaumobilisierung war, hat darin die Sicherung und Sanierung weiterer Gebäude im Jahnschulviertel zugesagt. Dafür haben Bund und Land Stadtumbaumittel aus dem Programmbereich "Sanierung und Sicherung von Altbauten" bereitgestellt.
Einen wichtigen Aufwertungsimpuls bildete die aus verschiedenen Programmen geförderte Instandsetzung und Modernisierung der stadtbildprägenden Jahnschule einschließlich Turnhalle und Schulhof. Hinzu kamen Aufwertungsmaßnahmen im öffentlichen Raum wie die Umgestaltung des Goethe- und des Schillerplatzes, die sukzessive in den angrenzenden Straßen fortgesetzt wird.
Diese Maßnahmen zusammen mit den Initiativen der WGW sowie intensiven Beratungs- und Förderangeboten (aus der Städtebau- und der sozialen Wohnraumförderung) führten dazu, dass sich auch private Investoren und soziale Träger im Jahnschulviertel engagiert haben.
So wurde ein besonders repräsentativer Gebäudekomplex mit Fördermitteln aus dem Stadtumbauprogramm zu einem Bürger- und Familienzentrum umgebaut, das der Verein SOS-Kinderdorf betreibt. Von der Arbeiterwohlfahrt wurde ebenfalls unter Einsatz von Fördermitteln ein stadtbildprägendes Jugendstilgebäude saniert und zusammen mit einem benachbarten Neubau für barrierefreies Wohnen und Seniorenwohngemeinschaften hergerichtet. Der Lebenshilfe Prignitz e.V. betreibt ein Mutter-Kind-Haus in der Bürgermeister-Jahn-Straße.
Weitere Synergieeffekte entstanden durch privat finanzierte Investitionen, etwa durch die Ansiedlung eines Gesundheitszentrums, eines Altenpflegeheimes und eines Schulungszentrums der Deutschen Bahn AG. Ein Privatinvestor erwarb mehrere Mietshäuser und sanierte sie qualitativ hochwertig.
Auch für zivilgesellschaftliche Initiativen ist der Stadtteil attraktiv. Am Bismarckplatz im Herzen des Jahnschulviertels hat 2019 der „Stadtsalon Safari“ als neuer Ort zur Vernetzung kulturinteressierter Wittenberger eröffnet. Der Stadtsalon versteht sich als Projekt- und Ideenwerkstatt aber auch als Veranstaltungsort. Der Stadtsalon wird u.a. im Rahmen des Programms „Demokratie leben“ aber auch durch die WGW unterstützt. Durch das Stadtumbauprogramm wurden Planungskosten gefördert.
Das Jahnschulviertel liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bahnhof, der sowohl architektonisch, als auch durch attraktive Zugverbindungen positive Impulse für die angrenzenden Stadtquartiere setzt. Der Rückbau von Gleisanlagen legte Flächen frei, die von der Stadt erworben und in Grünflächen, Pkw-Stellplätze und einem Schulsportplatz umgewandelt wurden. Im Jahr 2021 wird mit dem Umbau des denkmalgeschützten Empfangsgebäudes begonnen. Neben bahnaffinen Nutzungen soll das Gebäude zukünftig die Bibliothek, das Technologie- und Gewerbezentrum sowie das Jobcenter und flexible Büroräume beherbergen.

Das Bild zeigt einen großen Wohnblock mit Innenhof. Quelle: Stadt Wittenberge

Lernerfahrungen

Der Aufwertungsprozess im Jahnschulviertel zeigt, dass die Altbauaktivierung – insbesondere in strukturschwachen Räumen mit einem geringen Mietniveau – einen langen Atem braucht. Nach 20 Jahren intensivem Kümmern und hohem Fördermitteleinsatz konnte der Leerstand im Gebiet von fast 50 % auf etwa 20 % reduziert werden. Trotz einer positiven Einwohnerentwicklung im Jahnschulviertel und der Tatsache, dass vor allem Familien den Stadtteil schätzen, lässt sich das Sanierungstempo aufgrund der sehr hohen Sanierungskosten kaum deutlich beschleunigen. Dies zumal, da die sanierten Altbauwohnungen in Konkurrenz zu zentrumsnahen Angeboten an preiswerten Einfamilienhäusern stehen und das Mietsteigerungspotenzial auch vor dem Hintergrund der geringen Kaufkraft in der Region gering ist. Es bedarf daher auch in den kommenden Jahren intensiver Anstrengungen – hinsichtlich der Ansprache und Beratung von Eigentümern sowie in Bezug auf den Fördermitteleinsatz – um den erreichten Aufwertungserfolg zu sichern.